Uwe Johnson an Ingeborg Gerlach

Zum Brief erhielten wir folgende Notiz von Frau Gerlach:

Ich schrieb damals an einer Abhandlung über die Jahrestage, aber es existierten erst drei Bände, und ich wartete, wie viele andere Leser, auf den Abschlussband. Schließlich bat ich den Verlag um Johnsons Adresse und schilderte ihm (ohne jede Ahnung von seiner Situation) mein Problem. Wenn ich heute in Kenntnis seiner damaligen Lage seine Antwort lese, wundere ich mich über seine Höflichkeit, in der wohl auch eine Portion Ironie steckt.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ingeborg Gerlach und der Peter Suhrkamp Stiftung.

Uwe Johnson in Sheerness

seit drei Jahren bedient mich vor dem Fenster die Themse, wo sie die Nordsee wird.

Umrandet von Themsemündung und Nordseeküste liegt die Insel Sheppey. Es gibt hier nicht viele Einwohner, aber die meisten von ihnen leben in der größten Stadt der Insel, Sheerness.

Dort lebte auch Uwe Johnson zehn Jahre bis zu seinem Tod 1984. Das kleine weiße Reihenhaus an der Marine Parade, in dem er einst wohnte, ist die Nummer 26 und wird lediglich durch eine Straße und mittlerweile durch eine hohe graue Betonmauer vom Meer getrennt. Sie schützt die Bewohner vor Hochwasser. Der steinige Strand wird über eine ebenso graue Betontreppe, hinter der Mauer, erreicht. Dort bleibt der Blick auf das den Gezeiten folgende Wasser.

Sheerness war Johnsons Rückzugsort, weitab von dem geteilten Land, in dessen westlichen Teil seine Bücher veröffentlicht werden durften und begehrt waren, der Teil des Landes in dem man ihn kannte und erkannte. In Sheerness war das anders. Im Pub The Napier, gleich an der Ecke zur Marine Parade, war er häufig zu Gast. Hier und auch überhaupt in der Nachbarschaft kannte man ihn als Charlie.

Heute wissen die Menschen von Sheerness, dass Charlie Uwe Johnson hieß. Bis vor ein paar Jahren hing ein kleines Bild mit einem kurzen biografischen, nicht ganz fehlerfreien, Abriss an der Wand, wo – so wusste es der alte Wirt noch – Johnsons Stammplatz gewesen sein soll. Gelegentlich kamen Leute vom Kontinent und nahmen dort Platz.

Mittlerweile wurde The Napier allerdings einer umfassenden Renovierungsmaßnahme unterzogen und das Personal ist eher jüngeren Semesters. Ein Bild, das auf Johnsons Stammplatz hinweisen könnte, ist nirgends mehr zu sehen. Mit der  Renovierung scheinen auch die alten Zeiten weggepinselt worden zu sein.

Auch im Sheerness Heritage Centre, dem Heimatmuseum von Sheerness, fanden sich einst ein paar Informationen zum Autor.

Das Museum, erzählt grob zusammengefasst vom ortsansässigen Schiffbau, den hiesigen Schiffsunglücken und den Zeiten der Kriegsmarine. Einen Hinweis zum Verbleib Johnsons an diesem Ort sucht man mittlerweile allerdings vergebens. Auf die Frage hin, erhält man ein Abwinken; man sähe im Museum eigentlich keine Notwendigkeit einer Erwähnung. Sein Haus ist das einzige, was noch an ihn erinnert.

Johnson hat wohl in Sheerness Ruhe und Einsamkeit zwischen der ländlichen Weite und der Weite des Meeres gefunden. Und diese Ruhe um seine Person gewähren ihm die Menschen von Sheerness bis heute. Sei es auch eher aus Desinteresse und dem Vergessen preisgegebener Erinnerung.

»Am Ende könnte man mir nachsagen, ich sei jemand, der hat es mit Flüssen.« Das sagte Johnson in seiner Rede zur Aufnahme in die Darmstädter Akademie 1977. Da hat er bereits drei Jahre in Sheerness gelebt, an Themse und Nordsee. Doch dorthin, wohin er in Wahrheit gehörte, »die dicht umwaldete Seenplatte Mecklenburgs« ist Johnson nicht zurückgekehrt.

Seine letzte Ruhe fand er an dem Ort, wo er den  letzten Teil seines wichtigsten Werks Jahrestage geschrieben hat – auf der Insel Sheppey. Unweit von Sheerness in dem kleinen Ort Halfway Houses, liegt an der Halfway Road der Haupteingang zum Sheppey Cemetery.

Von dort aus, an dem äußersten rechten Weg im hintersten Teil des Friedhofs, ist Johnsons letzte Ruhestätte.

Der flache, rote Grabstein in dem plot mit der Nummer 54XD liegt am Wegesrand im Winkel zwischen der hinteren und rechten Mauer. Mit einem Blick über die rechte Mauer, durch die Zweige der Bäume lässt sich Sheerness erkennen. Der Wind weht kühl von Fluss und Meer herüber.

 

Claudia Demel und Heide Meincke